vgl. auch: http://pti.ekmd-online.de/portal/start/1-nachrichten/21127.html

Die Bedeutung des Lehrers

Der erste Teil der Veranstaltung widmete sich grundlegenden Befunden der empirischen Hattie-Studie. So erläuterte Prof. Frank Lipowsky, dass lediglich 5-10% der Leistungsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern durch das Schulklima, die Elternarbeit oder die allgemeinen Leistungserwartungen zu erklären seien. Hingegen würden bis zu 30% der Leistungsunterschiede durch die Lehrer und deren Unterricht entstehen. Deshalb muss gefragt werden, so Lipowsky, wie sich Lernprozesse bei Schülerinnen in Abhängigkeit von der beruflichen Qualität ihrer Lehrpersonen entwickeln.

Kennzeichen guter Lehrer und guten Unterrichts

Frank Lipowsky legte dar, wie empirische Bildungsstudien die Wirksamkeit von Unterricht mit Hilfe von Effektstärken zwischen 0 und 1 beschreiben. Danach wirken sich Schulwechsel eher negativ aus. Jahrgangsgemischter Unterricht verhält sich hingegen neutral. Forschendes Lernen im Naturkundeunterricht befeuert die Lernprozesse. Als außerordentlich wirkmächtig macht Hattie intelligentes Üben aus. Dazu müssen Lernprozesse permanent begleitet, in unterschiedlichen Formen zur Anwendung kommen und über einen längeren Zeitraum hin stattfinden. Hausaufgaben sind relativ unwirksam. Lehrerfragen können kognitiv herausfordern oder zu kleinschrittigen Ratespielen führen. Für offene Unterrichtsformen scheint zu gelten, dass gute Schülerinnen und Schüler von ihnen profitieren, schwächere Schülerinnen und Schüler weniger damit erreichen.

Lipowsky stellte klar, dass sich auf den Lernprozess des Schülerinnen und Schüler bezogenes Feedback sehr stark auswirkt (0,75), wenn Lernstände angezeigt, Verbindungen zum Vorwissen hergestellt und Lernstrategien angewendet werden können. Ein "Toll" am Ende der Klassenarbeit bewirkt eher wenig. Inhaltliche Klarheit wirkt dann optimal, wenn das Thema didaktisch reduziert wird, Vergleiche und Kontraste herausgearbeitet werden, Transparenz zu finden ist, die Sprache dem Verständnis hilft und Verständnisschwierigkeiten auf unterschiedliche Weise erklärt werden können. Kognitive Aktivierung liegt vor, wenn Unterrichtsgespräche anregend sind und Lehrerfragen herausfordernd wirken, wenn Nachdenken vertieft wird und neues Wissen mit bestehenden Konstellationen verbunden werden kann. Lehrerinnen und Lehrer können das befördern, wenn die Aufgaben herausfordernd sind, wenn kognitive Konflikte provoziert werden, wenn unterschiedliche Positionen aufgezeigt und Begründungszusammenhänge eingefordert werden. Hier soll ein ausgewogenes Verhältnis zwischen "higher-order-questions" und "lower order-questions" helfen. Direkte Instruktion (oder der Frontalunterricht) wirkt bei Hattie mit einer Effektstärke von 0,59 und unterstützt schwächere Schüler besser als stärkere. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass der Frontalunterricht gut sein kann, wenn klar bestimmt ist, was gemacht wird, wenn er transparent ist, kognitiv aktivierend wirkt, individuelles und konstruktives Feedback gibt und die Zwischenergebnisse immer wieder in die Lerngruppe zurückgespielt werden. Currikulare Aspekte wirken durch den Unterricht (0,42), die Lehrpersonen (0,49) und Lehrplanbezüge (0,45).

Mehr lesen:
www.franklipowsky.de
www.visiblelearning.de

Zusammenfassung und Kritik

Für Prof. Frank Lipowsky steht damit die Lehrperson und ihr Unterricht im Mittelpunkt: Was Lehrerinnen und Lehrer tun und die Haltung, mit der sie den Unterricht gestalten, ist ausschlaggebend für den Lernerfolg ihrer Schülerinnen und Schüler. Dazu gehören für Lipowsky Begeisterungsfähigkeit, Interesse an den Schülerinnen und Schülern, an ihren Ideen, ihren Fragen und fachbezogenen Entwicklungen. Dazu gehört weiter die Anerkennung der eignen Verantwortung für das Lernen der Schülerinnen und Schüler, eine kognitive Empathie, die sich in die Gedankenwelt der Schülerschaft begibt (visible Learning) und ein pädagogischer Optimismus, der auf die Reichweite des eigenen Handelns vertraut. Einen modernen Lehrer nur als Coach  zu begreifen, ist zu wenig, er muss auch als Regisseur auftreten können.

Zur Kritik an Hattie bleibt zu sagen, dass der Kontext der aufgenommenen Basisstudien nicht ausreichend berücksichtigt wurde, dass dömänenspezifische Unterscheide einzelner Fächer keinen Eingang gefunden haben und dass die Effektstärken unterschiedlicher Studien gemittelt wurden.

Für die Praxis der Lehrerfortbildung ergibt sich daraus, dass möglichst nah am Unterricht der Kolleginnen und Kollegen gearbeitet werden muss, dass kurze Inputs einen Perspektivenwechsel ausreichend initiieren und dass Reflexionen und kollegialer Austausch wichtige Bestandteile guter Fortbildungsarbeit sind.

Damit ist klar, so Lipowsky, dass Tages- oder Halbtagesveranstaltungen nur geringe Lernwirksamkeit bei Lehrerinnen und Lehrern generieren und dass die Entwicklung und Begleitung professioneller Lerngemeinschaften über einen längeren Zeitraum hin ein lohnendes Ziel für die Fortbildungskultur des Landes wären.