Alliance High School aus Haifa zu Gast am Elisabeth-Gymnasium in Halle
07.05.2025
Israelische Gäste in Halle
Trotz der aktuellen Herausforderungen durch den Krieg in Israel und des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland haben sich hallesche Schülerinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte mit israelischen Gästen am Elisabeth-Gymnasium in Halle getroffen.
von Hans-Michael Mingenbach, Schulleiter des Elisabeth-Gymnasiums Halle
Nun sitzen wir zu Beginn der Oster- und Pessach-Ferien 2025 in der Aula des Elisabeth-Gymnasiums (ELG): Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte aus dem Elisabeth-Gymnasium und Lehrerinnen und Lehrer der Alliance High School in Haifa. Zwei Tage wollen wir miteinander ins Gespräch kommen, übers Schule-Machen und -Erleben bei uns in Halle und in Haifa, wollen ein wenig Halle erkunden, aber auch Termine beim Oberbürgermeister, in der jüdischen Gemeinde und in der Gedenkstätte Roter Ochse wahrnehmen. So hatten wir uns seit dem Herbst 2024 in Videokonferenzen nach und nach verabredet. Gleichwohl: Eine neugierige Anspannung ist zu spüren, als es nun tatsächlich so weit ist.
Zu dieser außergewöhnlichen Zusammenkunft ist es gekommen, weil der terroristische Überfall der Hamas am 07.10.2023 alle Pläne des noch jungen Partnerschaftsprojekts zwischen der Alliance High School und dem ELG jäh unterbrochen hat. Israel ist seitdem im Krieg. Von Reisen, gar mit Schülergruppen, wurde offiziell gewarnt, bis heute abgeraten. Zugleich macht der zunehmende Antisemitismus in Deutschland eine offizielle Delegationsreise mit Schülerinnen und Schülern aus Haifa zu uns nach Halle derzeit ebenso wenig möglich. Deshalb sind nur Lehrkräfte gekommen.
Mit dem Wissen um diese Gedanken, um die Bilder, die sie in unseren Köpfen produzieren, sitzen wir also in einem großen Stuhlkreis in der Aula der Schule. Bernhard Krane, unser in israelisch-deutschen Begegnungen sehr erfahrener Moderator, lädt zu einer Vorstellrunde ein. Kleine, vorbereitete Schilder mit den Vornamen der Teilnehmenden in lateinischer, hebräischer und arabischer Schrift sind jeweils der Anlass, sich als Person und mit der schulischen Aufgabe bekannt zu machen. Darüber hinaus aber ist jedem aufgegeben, eine Frage oder eine Herausforderung mitzuteilen, die mit aktuellen schulischen Entwicklungen zu tun haben.
Ähnliche Probleme im Alltag
In einer konzentrierten, manchmal heiteren, manchmal nachdenklichen Runde erkennen wir uns in einer globalen Welt wieder, wenn von der belastenden Präsenz digitaler Endgeräte im Schulhaus und im Unterricht berichtet wird, wenn nach den Wirkungen von KI auf Schule gefragt oder von der Zunahme psychischer Beeinträchtigungen bei jungen Menschen nach der Pandemie erzählt wird. Wir sprechen von Identifikationen mit der eigenen Schule als Lehrkraft, als Elternteil oder auch als Schülerin oder Schüler, wie wichtig Gesehen-werden und Miteinander-erleben sind, dass sich Engagieren-können die Freude an der schulischen Aufgabe stärkt und es oft ein Team braucht, um zum Ziel zu kommen. Aber auch Fragen nach der Qualität von Unterricht, von digitalen Kompetenzen, die es braucht, um Schule auch online zu machen, sind zu hören.
Einsichten, Fragen und Überlegungen, die wir in kleinen Gruppen vertiefen, um genauer voneinander zu hören, welche Verfahren, die jeweils andere Schule für sich entdeckt hat und wie sie aus den unterschiedlichen Perspektiven von Eltern, Lehrkräften und Lernenden erlebt werden.
Schule machen, wenn Krieg ist
Zuvor aber schildert Hagit Felach, Leiterin der Junior High School innerhalb der Alliance High School, eindrücklich ihre Erfahrungen aus den nunmehr eineinhalb Jahren Schule unter Kriegsbedingungen. Hagit Felach erinnert daran, dass sie selbst Soldatin war und aktuell ihre erwachsenen Kinder als Soldaten in der israelischen Armee im Kriegseinsatz sind. So auch persönlich betroffen, helfe ihr die Aufgabe, die Schule organisieren zu müssen, mit den eigenen, sorgenvollen Gedanken umzugehen. Dieses Schule-Organisieren sei abhängig von der Gefahreneinschätzung durch die israelischen Behörden in rote, orange und grüne Risikozonen. Manchmal seien in Haifa alle drei Zonen nebeneinander ausgewiesen worden. Dann hätten Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte, die in der roten Zone wohnen, nicht das Haus verlassen dürfen. Für sie sei Online-Unterricht angesetzt worden. Schülerinnen und Schüler wie Lehrkräfte aus grünen Gebieten seien zur Schule gekommen. Dafür habe geprüft werden müssen, ob in der Schule für den Fall einer Warnung ausreichend Schutzräume vorhanden seien. Täglich wechselten Risikoeinschätzungen, manchmal liege die Schule selbst in der roten Zone.
Hagit Felach zeigt sich erleichtert, dass derzeit in Haifa wieder „Normalität“ einkehrt sei, die Schule auch als sozialer Ort, an dem sich Jugendliche treffen können, wieder funktioniere. Wenngleich im Foyer der Schule an zwei im Krieg als Soldaten getötete Ehemalige erinnert werde.
Post für Halles Oberbürgermeister
Selbst beim offiziellen Empfang durch Halles Oberbürgermeister im Wappensaal des Stadthauses ist der Krieg als Realität, mit der Schule umgehen müsse, ein Thema. Ram Shmueli, Schulleiter der Alliance High School, erläutert in seiner Keynote, warum Israel diesen Krieg zu führen habe: Solange ein Denken und Handeln existiere, das Israels Existenzrecht einschränke oder gar verweigere, das mit der Parole „From the river to the sea“ einhergeht, seien diese Kräfte zu bekämpfen. Für die Gestaltung seiner Schule, die von jüdischen, muslimischen und drusischen Jugendlichen besucht werde, sieht Ram Shmueli die Herausforderung, den konstruktiven Umgang mit Vielfalt und das Miteinander-Lernen in dialogischen Formen mit der Notwendigkeit zu verschränken, junge Menschen auf die Wehrhaftigkeit vorzubereiten.
Anan Zen, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft des Staates Israel in Deutschland, betont in seinem Grußwort die Bedeutung der Begegnung, in der Verständnis füreinander wächst. Deshalb sei diese deutsch-israelischen Begegnung zwischen Menschen aus dem Elisabeth-Gymnasium und der Alliance High School als eine Veranstaltung zu sehen, die im Rahmen des Jubiläumsjahres „60 Jahre diplomatische Beziehungen“ ihren Platz habe. Diese Begegnungstage seien die ersten ihrer Art in Deutschland seit dem 07. Oktober 2023. Anan Zen ermutigt die Schulen, ihre partnerschaftliche Beziehung zu vertiefen und sagt Unterstützung zu, um das gegenseitige Verstehen auszubauen.
Politischer Höhepunkt des Empfangs im Stadthaus ist dann die Übergabe eines Briefes aus Haifa an Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt durch Ram Shmueli, in dem es die Möglichkeit einer Städtepartnerschaft zwischen Halle und Haifa angesprochen wird.
Erinnerungskultur als Antwort auf Rassismus
Am zweiten der Begegnungstage besuchen wir Orte und Partner, die für die pädagogische Arbeit des Elisabeth-Gymnasiums in Halle bedeutsam sind.
In der Gedenkstätte Roter Ochse erläutert Laura Miete die Geschichte des Ortes und zeigt an Schülerprojekten, die gemeinsam mit dem Elisabeth-Gymnasium und weiteren Schulen durchgeführt werden, die Aufgaben einer Gedenkstätte auf. Erinnerungskulturarbeit ist dabei nie nur der Blick in frühere Zeiten, sondern stets ein Vergegenwärtigen von damals Geschehenem, um daraus heute Zukunft zu gestalten. Deshalb sind alle vermeintlichen Anfragen an die Zeitgemäßheit und Sinnhaftigkeit der Gedenkstättenarbeit wie der schulischen Erinnerungskulturarbeit, darin sind sich die israelischen und deutschen Besucher an diesem Morgen einig, ein fatales Signal.
An der halleschen Synagoge in der Humboldtstraße erläutert Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, unserer Gruppe den Erinnerungsort an den Anschlag vom 09. Oktober 2019. Gleich vor dem Eingang in die Synagoge steht die Skulptur mit der beim Anschlag standhaften, aber beschädigten Tür im Zentrum. „Damit man sieht, wie uns diese Tür gerettet hat“, formuliert Max Privorozki. Im selben Moment macht er deutlich, dass das Denkmal ebenso an die damals ermordeten Unbeteiligten erinnert.
Später in den Räumen der Jüdischen Gemeinde an der Großen Märkerstraße gehen die beiden Begegnungstage zu Ende. Dabei sind wir uns gewiss, dass so manches informelle Gespräch bei einer Tasse Kaffee oder beim gemeinsamen Abendessen noch fortgeführt und vertieft werden möchte. Die Schulleitungen wollen die Fortsetzung dieser Begegnung von Lehrerinnen und Lehrern und die Zukunft des Schüleraustausches unterstützen. Konkret lädt Ram Shmueli nach Haifa ein, um den räumlichen und pädagogischen Umbau der Alliance High School zur Modellschule im Rahmen des UNESCO-Programms „Education 2030“ kennenzulernen. Und: Englischkolleginnen beider Schulen verabreden ein gemeinsames Unterrichtsprojekt, dass sowohl zwischen den Kolleginnen Austausch verspricht, sowie den Kontakt zwischen Schülerinnen und Schülern.
Zum Schluss gilt es zu danken: Den Eltern und Lehrkräften, die unsere israelischen Gäste beherbergten, unseren Partnern, die sofort bereit waren, ihre Einrichtungen vorzustellen und von gemeinsamer pädagogischer Arbeit zu berichten, und nicht zuletzt dem Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt, das die Referenten- und Tagungskosten dieser Begegnungstage in Halle bezuschusst hat.
Quelle: Elisabeth-Gymnasium Halle, Bildrechte: Stadt Halle