„Die Freiheit ehren“ – Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern des Elisabeth-Gymnasiums

17.06.2025

Am 4. Juni 2025 war Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff zu Gast am Elisabeth-Gymnasium in Halle. In einer Podiumsdiskussion mit den Jahrgängen 10 und 11 stand ein zentrales Thema im Fokus: die Freiheit. Ausgangspunkt war die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985, die zuvor im Unterricht behandelt worden war. Es folgte ein offenes, eindrucksvolles Gespräch über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Freiheit.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von Schulleiter Michael Mingenbach. Er erinnerte daran, dass Freiheit nicht nur Erbe, sondern Aufgabe ist – besonders für junge Menschen in einer offenen Gesellschaft.

Erfahrungen aus der DDR – und ihre Nachwirkungen

Dr. Haseloff begann mit persönlichen Eindrücken aus seiner Jugend in der DDR. Wegen des katholischen Glaubens seiner Mutter wurde ihm der Wechsel aufs Gymnasium zunächst verwehrt – trotz eines Notendurchschnitts von 1,0. Nur durch den Einsatz seiner Mutter konnte er diesen Bildungsweg doch noch gehen. „Wäre sie nicht so mutig gewesen, hätte mein Leben eine ganz andere Richtung genommen“, sagte Haseloff. Auch im Alltag zeigten sich die Grenzen der Freiheit: Was zu Hause im Fernsehen geschaut wurde, durfte in der Schule besser nicht erwähnt werden. In Haseloffs Heimatregion um Wittenberg wurden sogar Antennen entfernt, um Westfernsehen zu unterbinden.

Besonders eindrücklich sprach Haseloff über das Thema Religionsfreiheit. Der Unterricht war atheistisch geprägt, religiöse Überzeugungen galten als Störfaktor. Wer sich offen zum Glauben bekannte, musste mit Nachteilen rechnen – beim Bildungsweg wie im Berufsleben. Auch Schülerinnen und Schüler brachten familiäre Erfahrungen ein. Ein Schüler berichtete, dass sein Onkel sein Studium nicht wie geplant absolvieren konnte. Andere erzählten von Stasi-Akten oder Westverwandten, die mit Paketen halfen, den Alltag etwas zu erleichtern. „Man kann sich das heute kaum vorstellen“, sagte eine Schülerin. „Aber wenn man solche Geschichten hört, versteht man, wie sehr die Menschen eingeschränkt waren.“

Freiheit in der Gegenwart – Wehrpflicht, Wirtschaft, Verantwortung

Im weiteren Verlauf wurde diskutiert, wie sich das Freiheitsverständnis heute verändert – angesichts gesellschaftlicher Unsicherheiten, geopolitischer Krisen und wirtschaftlicher Herausforderungen. Besonders intensiv wurde die Debatte um eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht geführt. Die Jugendlichen äußerten die Sorge, dass eine solche Maßnahme persönliche Lebensentwürfe durchkreuzen könne – etwa, wenn unmittelbar nach dem Abitur ein Studium geplant sei. Haseloff zeigte Verständnis für diese Bedenken, machte aber zugleich deutlich, dass Freiheit mehr sei als individuelle Verwirklichung. In einer Zeit wachsender Bedrohungen müsse auch über die Bereitschaft gesprochen werden, das eigene Gemeinwesen zu verteidigen. Deutschland habe über Jahrzehnte von der militärischen Absicherung durch Bündnispartner profitiert. Nun sei es an der Zeit, Verantwortung neu zu denken – nicht leichtfertig, aber mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft. Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich offen für diese Argumente, betonten aber den Wunsch nach Klarheit, Fairness und echter Wahlfreiheit bei möglichen Pflichtdiensten.

Auch Fragen zur wirtschaftlichen Freiheit und sozialen Gerechtigkeit kamen zur Sprache. Die Jugendlichen thematisierten steigenden Leistungsdruck, psychische Belastungen und die Sorge, sich das Leben nicht mehr leisten zu können – trotz formaler Freiheiten. Haseloff sprach offen über die Herausforderungen, vor denen Deutschland steht: durch den Krieg in der Ukraine, durch internationale Abhängigkeiten und durch den hohen gesellschaftlichen Anspruch an soziale Sicherheit. Er erinnerte an seine Zeit als Arbeitsamtsdirektor nach der Wende und berichtete, wie viele Menschen die neue Freiheit nicht als Gewinn, sondern als Überforderung erlebten. „Was habe ich von der Freiheit, wenn ich keine Arbeit habe?“, lautete eine oft gehörte Frage. Für ihn zeige das: Freiheit müsse mit realen Teilhabechancen unterlegt sein – ökonomisch, sozial und politisch.

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Demokratische Kultur unter Druck

Ein dritter Schwerpunkt der Gesprächsrunde war die politische Dimension der Freiheit – besonders mit Blick auf den wachsenden Einfluss populistischer und rechtsextremer Kräfte. In Sachsen-Anhalt erreicht die AfD hohe Zustimmungswerte, auch unter jungen Wählerinnen und Wählern. Die Jugendlichen konfrontierten den Ministerpräsidenten mit Fragen zum Umgang mit dieser Entwicklung – und mit Sorge über Aussagen führender AfD-Politiker zur „Remigration“. Haseloff betonte, dass ein Freiheitsbegriff, der sich gegen andere richte, nicht mit demokratischen Grundwerten vereinbar sei. Es sei wichtig, sich aktiv gegen Ausgrenzung und Intoleranz zu stellen. Gerade im Rückblick auf die Geschichte gelte es, eine wehrhafte Demokratie zu leben.

Auch die Rolle von Medien und politischer Bildung kam zur Sprache. Die Jugendlichen wünschten sich mehr Transparenz, verständlichere Kommunikation und die Möglichkeit, sich selbst eine fundierte Meinung zu bilden. Sie machten deutlich, dass Freiheit heute nicht nur in Gesetzen besteht, sondern in der Fähigkeit, Informationen zu verstehen, sich zu orientieren und mitzureden.

Zum Ende der Veranstaltung stand die Frage im Raum, was es heute konkret heißt, „die Freiheit zu ehren“. Die Antworten blieben nicht abstrakt: Es gehe um Teilhabe, um Verantwortung – und darum, nicht zu schweigen, wenn Haltung gefragt ist. Der Ministerpräsident appellierte an die Schülerinnen und Schüler, die demokratischen Freiheiten aktiv zu nutzen und zu schützen. Freiheit, so seine klare Botschaft, ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der Engagement, Haltung und Mut erfordert.

Ein Gespräch, das bleibt

Die Podiumsdiskussion zeigte eindrucksvoll, wie sehr historische Erfahrungen, politische Verantwortung und persönliche Zukunftsfragen miteinander verbunden sind. Sie machte deutlich: Freiheit ist kein abstrakter Begriff, sondern konkret, verletzlich – und schützenswert.

Die Diskussion mit dem Ministerpräsidenten bildete den Auftakt einer Veranstaltungsreihe am Elisabeth-Gymnasium, in der zentrale gesellschaftliche Werte im Mittelpunkt stehen. In den kommenden Monaten sollen Gespräche mit Bischof Dr. Gerhard Feige zum Thema Menschenwürde sowie mit dem Wissenschaftler Prof. Dr. Jonas Grethlein über das Thema Hoffnung folgen.

Unser Dank gilt Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff für seine Offenheit, den Podiumsteilnehmenden für ihre klugen Beiträge sowie allen Beteiligten in der Vorbereitung und Durchführung.


(Bildrechte: Titelbild: Steffen Schellhorn, für die Staatskanzlei/ Galeriebilder: Martin Scheibe, Elisabeth-Gymnasium)